Dialogues on Nature

Ausstellungstext Eleni Mylonas – Nata Togliatti „Dialogues on Nature“

Mit der Ausstellung „Dialogues on Nature“ beschließt die Galerie Françoise Heitsch das Jahr 2024. Es sind gegenständliche Darstellungen von Tieren und Pflanzen, die uns dort begegnen. Beide Künstlerinnen zielen dabei weniger auf eine naturgetreue Abbildung der belebten Natur; was wir stattdessen sehen, sind bildgewordene Erinnerungen und visuelle Ausdrücke, die unsere eigene Position in der Welt kritisch hinterfragen. Auf jeweils eigene Weise beschäftigen sich Eleni Mylonas und Nata Togliatti mit dem Menschen als Teil eines größeren Systems, in dem Mensch, Tier, Pflanzen und Dinge untrennbar miteinander verbunden sind.

Die neue Werkserie von Eleni Mylonas trägt den Namen „Bison Bison Buffalo Blues“ und befasst sich mit dem Schicksal des nordamerikanischen Bisons. Mit über 30 Millionen Exemplaren bildeten die Bisons einst einen vitalen Bestandteil für das Leben der indigenen Bevölkerung in Nordamerika und das Ökosystem der Great Plains. Innerhalb weniger Jahrzehnte fielen die Tiere jedoch zu großen Teilen der von Profitgier getriebenen Landnahme weißer Siedler zum Opfer. Die Regierung förderte gezielt die Bisonjagd als Mittel, um damit die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung zu zerstören und sie so kontrollieren, dezimieren und in Reservate zwingen zu können. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren nur noch einige hundert Tiere in freier Wildbahn übriggeblieben – mit tiefgreifenden Folgen für die Natur sowie indigene Gemeinschaften.

Eleni Mylonas Serie zeigt den Bison in unterschiedlichen Größen, Medien und Abstraktionsgraden. Während man sich in den Details aus zottigem Fell, langen Barthaaren und unterschiedlichen Fellfärbungen einer in Lebensgröße ausgeführten Arbeit in Öl verlieren kann, begegnet man daneben einem kleinformatigen Digitaldruck, dessen andeutungshafte Ausführung des Kopfes an Darstellungen des Minotaurus denken lassen –insbesondere an Arbeiten von Picasso, den die Mythengestalt zeitlebens faszinierte. Mit dem Titel „Buffalo Guernica“ unterstreicht die griechischstämmige Künstlerin diese Referenzen. Trotz unterschiedlicher Variationen ist allen Arbeiten der direkte, auf die Betrachter:innen gerichtete Blick der Tiere gemein, als ob sie in Kontakt mit ihrem Gegenüber treten und damit Identifikation und Einfühlung einfordern wollten.

Allen Arbeiten gemein ist auch die zugrundeliegende Kritik an der Zerstörung von Ökosystemen durch menschliche Handlungen. Anhand des Schicksals der amerikanischen Bisons erzählt die Künstlerin von einer Katastrophe, die sich auch in der Jetztzeit überall auf der Welt wiederholt. Das Bildmotiv, dem sich Eleni Mylonas so eingehend widmet, ist dementsprechend spezifisch und steht zugleich für ein größeres Ganzes. „When the buffalo went away the hearts of the people fell to the ground and they could not lift them up again“, zitiert die Künstlerin in einem der Bison-Bilder einen Ausspruch des letzten großen Häuptlings des Crow-Stammes Plenty Coups und wirft damit einen Punkt auf, der über seine Zeit hinausgeht und uns alle herausfordert: Wie rechtfertigen wir, dass wir uns durch unser Handeln am Untergang der eigenen Lebensgrundlagen beteiligen?

Zwischen den massigen Körper der Bisons finden sich zarte, zu Ornamenten angeordnete Darstellungen von Früchten und Pflanzen. Ihre Motive erntet Nata Togliatti im eigenen Garten oder kauft sie eben im Supermarkt, dem Ort der ganzjährigen, globalen Verfügbarkeit. Im Atelier werden die Früchte dann einzeln oder zu Gruppen arrangiert und auf zum Malgrund umgewidmete Supermarkt-Umverpackungen oder Transportkartons gebannt. Die Farben mischt die Künstlerin mit Naturpigmenten selbst an – eine bewusste Betonung des Handwerklichen. In der Wahl ihrer Arbeitsmaterialien ist also bereits das Spannungsfeld zwischen lokalem (Kunst-)Handwerk und globaler Massenproduktion angelegt, das sich auch thematisch durch Nata Togliattis Werk zieht. So entstehen für die Serie „Malina“ (Russisch für Himbeere) auf origamiartig gefalteten Kartons variierende Reihen von prallen dunkelroten Himbeeren in sattem Farbauftrag. Trotz des seriellen Charakters der Bilder gleicht keine Beere der anderen. Damit unterläuft die Künstlerin die Logik internationaler Normierungsprozesse, die sogar der Natur jegliche Individualität auszutreiben suchen.

Der Garten-Himbeere wird in der Ausstellung besondere Aufmerksamkeit zuteil: sie ist der bildgewordene Ausdruck einer kostbaren Erinnerung an die Besuche in der großelterlichen Datscha an der Wolga, wo einst mit der Großfamilie unbeschwerte Stunden zwischen Himbeerstauden verbracht wurden. Auch nach der Auswanderung der Eltern der Künstlerin nach Deutschland in den 1990er Jahren, fuhr die Familie weiterhin jeden Sommer zu den Großeltern nach Russland. In der slawischen Kultur kommt der Himbeere zudem große symbolische Bedeutung zu und gilt dort als Pflanze der Freude, Jugend und Unbeschwertheit. Für Nata Togliatti transportieren sich in der kleinen Frucht aber auch große Fragen nach dem Wandeln zwischen verschiedenen Orten und Kulturen, nach Identität und Heimat.

Der Zeit bei den Großeltern ist in vielerlei Hinsicht in den Werken der Künstlerin präsent. Fotografien von Tapeten aus der deren Wohnung sind der Ausgangpunkt für eine Erforschung von Mustern und Ornamenten. Durch die Wiederholung ihrer Motive bildet sie Muster, die selbst an Tapeten oder Porzellanmalerei, an Fayence-Fließen in Sommerschlösschen oder die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen in Bauernhäusern erinnern. Das Ornamentale wird bewusst nicht als schmückendes „Beiwerk“ eingesetzt, sondern ins Zentrum der Arbeiten gestellt: Zierde ist hier nicht etwas Überflüssiges, sondern Ausdruck von Schönheit und Bereicherung, die in den Alltag getragen wird und so Dingen Aufmerksamkeit und Wertschätzung zuteilwerden lässt. Damit konfrontiert sie die Betrachter:innen mit der Frage nach dem Wert des Dekorativen und nach dem Stellenwert von Ornament und Kunsthandwerk in einer eurozentristisch geprägten Kunstauffassung.

In der Ausstellung begegnet uns auch eine vierteilige Tischszene mit aufgebrochenen Granatäpfeln und Zwiebeln. Als Malgrund dient buchstäblich eine alte Leinentischdecke, die auf Leinwand gespannt wurde. Die vom Spannen übriggebliebenen Erhebungen erscheinen wie der Faltenwurf der Tischdecke, über den sich die Granatapfelstücke, herausgefallenen Kerne und aufgeschnittene Zwiebeln verteilen. Die gemalten Sujets entstammen dem Supermarkt: Granatäpfel aus der Türkei liegen neben heimischen Zwiebeln. Aber was bedeutet überhaupt heimisch, wo doch schon die vermeintlich urdeutsche Zwiebel ursprünglich aus Zentralasien stammt? „Community“ ist der Titel der Arbeit, in der die Künstlerin alles zusammen auf einen Tisch bringt. Die gleichwertige Gleichzeitigkeit von Dingen scheint ein Kommentar zu sein auf weltweite Zusammenhänge und die Wirksamkeit kultureller und nationaler Abgrenzungen – eine illusorische Vorstellung in einer globalisierten Welt. Nata Togliattis Arbeiten erzählen davon, dass wir alle Teil eines größeren Systems, quasi eines großen „Musters“ – sei es ökologisch, geopolitisch oder soziokulturell – und damit miteinander verbunden sind.

Text by Cordula Schütz